Exil in Ostende

Zum Anschluss meiner Reise an die Küste Flanderns nehme ich Euch mit nach Ostende. Wir machen eine Zeitreise in die 30er Jahre, als die raue Hafenstadt noch mondänes Flair ausstrahlte und die Grandhotels  berühmte Gäste aus aller Welt beherbergten. Nach Ostende fuhr in die Sommerfrische, wer Geld hatte und etwas auf sich hielt. Und wer sich in Sicherheit bringen musste vor den Nazi-Schergen des dritten Reiches. Der mondäne Kurort wurde in den Jahren vor der Besetzung Belgiens zum Zufluchtsort für eine ganze Reihe von deutschsprachigen Literaten, Intellektuellen und Aktivisten.

Literarische Freundschaft in Ostende

Volker Weidemann skizziert mit großem erzählerischen Schwung  in seinem Buch Ostende 1936, Sommer der Freundschaft wie es gewesen sein könnte, als Stefan Zweig, Joseph Roth und Egon Erwin Kisch in den Cafés am Strandboulevard saßen, philosophierend, diskutierend und sich betrinkend. Fast zärtlich beschreibt er die Freundschaft zwischen dem weltgewandten Stefan Zweig und dem immer in Geldnöten steckenden Joseph Roth,  einem notorischen Trinker, den am Ende niemand retten können wird. Auch nicht Irmgard Keun, mit der Roth in diesem Sommer eine stürmische Affäre beginnt.

Brassrie Ostende Joseph Roth

Exil als Lebensform

Ich habe dieses Buch verschlungen, denn die Exilthematik spielte eine wichtige Rolle in meinem akademischen Leben. In meiner Dissertation Die lange Nacht der Schatten. Film Noir und Filmexil beschäftigte ich mich mit den deutschen Filmschaffenden in Hollywood. So wie ich damals bei meinen Recherchen durch die Hügel Hollywoods und über den Sunset Boulevard fuhr, um ein Gefühl für das Leben der Exilanten zu bekommen, so mache ich mich in Ostende auf die Suchen nach sichtbaren Spuren dieses Lebens auf Zeit, zwischen Angst und Hoffnung,  Verzweiflung und Lebenslust, Spott und Zynismus. Die Häuser und Hotels, in denen die Exilanten lebten, sind  fast alle abgerissen, denn Ostende hat sich verändert, dem mondänen Seebad ist alles Mondäne ziemlich abhanden gekommen. Einige Spuren der Exilanten finde ich dennoch auf meinem Spaziergang durch die Stadt.

Endstation Hoffung

Die Lijn, die Küstenstraßenbahn, mit der ich in Ostende ankomme, macht  am Bahnhof  Station. Ich steige aus und spaziere an Baustellen vorbei zum Bahnhofsgebäude. In den Hoch-Zeiten gab es eine direkte Zugverbindung von Wien nach Ostende, gut betuchte Sommerfrischler aus ganz Europa strömten aus der geräumigen Halle in die Stadt. Der einst prächtige Bau hat bessere Tage gesehen.

ZUverbindung Ostende

Heute liegt das Gebäude traurig und etwas verloren am Quai. Es ist teils eingerüstet, eine verwelkte Schönheit, die darauf hofft, noch einmal in vergangener Glorie zu erstrahlen. Hier kamen auch Stefan Zweig und Joseph Roth einst an, für sie war der Bahnhof rettende Endstation und Versprechen eines freien Lebens, das sie in ihrer Heimat nicht mehr führen konnten.

Ostende Zugverbindung

Freundschaft und Verzweiflung

Die Freundschaft dieser beiden so unterschiedlichen Schriftsteller gerät in Ostende zunehmend in eine Schieflage. Stefan Zweig, der weltgewandte, erfolgreiche und wohlhabende Literaturstar unterstützt Joseph Roth, den trinksüchtigen ewigen Selbstzweifler in notorischer Geldnot mit großzügigen finanziellen Zuwendungen. Zweig zahlt Roths Hotelrechnung, lässt ihm einen Anzug schneidern und hinterlässt ihm bei seiner Abreise am Ende des Sommers abermals Geld. Roth kann er aber nicht retten, dieser flüchtet sich immer weiter in den Alkohol und zerstörerischen Selbsthass und wird nur drei Jahre später vollkommen verarmt in Paris an einer doppelseitigen Lungenentzündung sterben. Auch Stefan Zweig zerbricht am Exil – er nimmt sich 1942 in Brasilien das Leben.

Den Keim ihrer persönlichen Tragödien mögen die Protagonisten schon in Ostende in ihren Herzen getragen haben. In diesem Sommer 1936 aber spielen sie alle noch einmal das normale Leben. Sie treffen sich in den Cafés der Stadt, im Café Flore oder im Café Parc und diskutieren und lästern, essen, trinken und lieben.

 „Mit jedem Tag, den dieser Urlaub länger andauert, wird eine Rückkehr unwahrscheinlicher. Alle wissen es. Aber man spricht nicht darüber. Es herrscht Pflicht zum Optimismus. Den Strick hat man im Koffer. Darüber wird nicht geredet.“

Volker Weidemann: Ostende 1936, Sommer der Freundschaft

Das Café Flore gibt es nicht mehr, aber das Parc finde ich vor wie es in den 30er Jahren aussah. Heute heißt es Brasserie du Parc und liegt direkt gegenüber der Lijn-Haltestelle Marie-Joséplein.

Ostende Brasserie du Parc

Café mit Geschichte

Das Lokal wirkt zwischen den schnörkellosen Neubauten wie ein in Bernstein konserviertes seltenes Objekt, ein aus der Zeit gefallener Ort, irritierend authentisch mit seinem Art Deco Interieur. Ich blinzle. Sitzt dort am Tisch nicht Joseph Roth mit einer Flasche Wein? Das Parc war einer seiner Lieblingsplätze, an dem sich mit der nötigen Menge Alkohol sein Leben einigermaßen erträglich anfühlte.

 Ostende Exil Brasserie du Parc

Die Fata Morgana verschwindet wieder, als mich der junge Kellner abrupt nach meiner Bestellung fragt. Ich ordere Wasser – es ist heiß an diesem Tag in Ostende und zu früh für Alkohol, zumindest für mich – und setze mich mit meinem Glas an einen der Tische draußen auf dem Gehsteig. Vor mir geht das moderne Leben seinen Alltagsgang:  Autos hupen, Passanten hetzen eilig vorbei und zwischen dem Trubel hält in regelmäßigen Abständen quietschend die Kusttram, die auch Joseph Roth hergebracht haben mag. Im Café hinter mir lebt spürbar die Vergangenheit der Exilanten, die hier ein Stück Normalität in ihrem unsteten, heimatlosen Leben suchten. Ich selbst fühle mich in einer Art zeitloser Zwischenzone an meinem Platz, der mir den Blick zurück und nach vorne erlaubt und der mir die Erkenntnis schafft, dass das Schicksal der Exilanten in Ostende nicht Geschichte ist, sondern aktueller denn je.

Brasserie du Parc
Marie-Joséplain 3
8400 Ostende
Tel: 0032 (0)59 511305
Täglich geöffnet ab 8.00 Uhr
 
Dieser Post ist der letzte Teil meiner Reise nach Flandern.
 
 

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