Gemüse im Kreisverkehr: Die Prinzessinnengärten in Berlin

Städte definieren sich über ihre Plätze. Das ist in London so, in Paris und auch in Berlin. Dort gilt der Alexanderplatz seit Döblins gleichnamigen Roman als Symbol modernen urbanen Lebens mit all seinen Auswüchsen. Doch der wohl bekannteste Ort der Stadt hat Konkurrenz bekommen: den Moritzplatz in Kreuzberg.

Grüner Gegenentwurf

Mitten zwischen Parkplätzen, Autoverkehr, Bürogebäuden und U-Bahn-Haltestelle befindet sich ein grüner Gegenentwurf – die Prinzessinnengärten. Sie stehen für eine  andere Art großstätischen Lebens: für soziales Miteinander, nachhaltiges Wirtschaften und die Rückführung der Natur in die Stadt. Aus der lokalen Initiative von Nachbarn, Freunden und Unterstützern wurde in nur drei Jahren eine Attraktion, die Schulkinder, Kiezbewohner, Touristen und Medien in Scharen  anlockt.

steinbauer-groetsch©2012

Zwischen Tomatenpflanzen und Kräuterkübeln

Als ich vor ein paar Wochen  die Prinzessinengärten  besuchte, stand ein asiatisches Fernsehteam zwischen Tomatenpflanzen und Kräuterkübeln und berichte  für sein heimisches Fernsehpublikum über das Projekt, das 2009 von Robert Shaw und Marco Clausen ins Leben gerufen wurde. Als Vorbild diente den beiden die Idee der kubanischen  Gemeinschaftsgärten, die dort aus Versorgungsnot bewirtschaftet werden. Die beiden Macher wollten jedoch über die Idee eines urbanen Nutzgartens hinaus einen Ort des sozialen Miteinanders schaffen, in denen Menschen über die Arbeit mit den Pfanzen miteinander ins Gespräch kommen sollten.

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Zukunftsorientierte Stadtentwicklung

Am Moritzplatz, mitten in einem der ärmsten Viertel der Stadt, fand sich ein brachliegendes Grundstück, das der Stadt gehört und gemietet werden konnte, allerdings mit jährlich zu erneuernder Nutzung.  Diese Tatsache und der stark belastete Boden bewogen die Initiatoren dazu, einen mobilen Garten zu planen, der bei Bedarf auch umgezogen werden kann. Dieser Tag könnte nun schneller kommen, als gedacht, denn das Liegenschaftsamt plant den Verkauf des Grundstücks. Dem steht die Forderung der Projektbetreiber gegenüber, den Mietvertrag fünf Jahre zu verlängern. Dabei geht es nicht um die reine Existenz des Gartens, sondern um eine zukunftsorientierte Stadtpolitik unter Beteiligung der Bürger, um den Umgang mit Grundstücken und um den Wert von sozialem Engagement.

Kraft der Kreativität

Die geographische Lage mitten in einem Problemviertel, die Unwirtlichkeit des Bodens, die organisatorischen  Beschränkungen und ihr unkonventioneller Umgang damit haben die Prinzessinnengärten in kurzer Zeit zu einem „märchenhaften“ Ort werden lassen, in dem die Gesetze der Realität mit der Kraft der Kreativität außer Kraft gesetzt werden. Dieser Ort setzt den Besucher ins Staunen.

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Nicht weil er besonders „schön“ im klassischen Sinn und von dem Idyll  wohlgepflegter Schrebergärten meilenweit entfernt ist, sondern weil er fast wie eine Fata Morgana wirkt, inmitten der Brandmauern, der Häuser und des Verkehrs.

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Eine grüne Utopie, die auch ich staunend durchwanderte. (Vielen Dank an Elena Brandes für die informative Führung!) Hier wachsen Tomaten und Kartoffeln in Reissäcken, die Minze in einer alten Blechwanne, Gartengemüse in Plastikkisten.

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Es gibt Rasenbänke statt Betonsitzen, Insektenhotels statt Bettenburgen und das Plätschern des Bewässerungsschlauches statt tosenden Verkehrslärm. So kann sich Stadt also auch anfühlen.

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Verantwortlich für die Pflanzen in den Prinzessinnengärten  sind 15 feste Helfer, die den Garten regelmäßig versorgen, und zwei professionelle Berater.  Der Anbau erfolgt nach ökologischen Prinzipien, Pestizide und chemische Dünger sind tabu.

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Restaurant im Garten

Das garteneigene Restaurant im Container  bekocht an schönen Tagen schon mal 200 Gäste mit einfachen Gerichten, deren Zutaten frisch geerntet werden. Großer Renner ist die Gartenpizza, auf der landet, was der Garten hergibt: rote Beete, Kräuter und Honig von den eigenen Bienen. Da ich am Nachmittag im Garten war, musste ich mit einem Pizza-Photo vorlieb nehmen, konnte zumindest aber einen wunderbaren selbstgebackenen Kuchen und einen frischen Pfefferminztee genießen, für den ich mit Glas und Messer in den Garten geschickt wurde, um mir die Minze selbst abzuschneiden.

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Wer mehr über die Gärten wissen will, oder selbst einen Stadtgarten anlegen will, dem sei das Buch zum gartenempfohlen: Normadisch Grün (Hg): prinzessinnengärten. Anders gärtnern in der Stadt. DuMont: Köln 2012. Darin finden sich die ausführliche Geschichte des Projekts, viele Tipps zum Anlegen eines Stadtgartens und wunderbare Rezepte (auch von der Gartenpizza). Ich werde nächstes Jahr definitiv in meinem kleinen Stadtgarten Kartoffeln in Säcken pflanzen und demnächst die Tomatensalsa machen und hier darüber berichten.In der Zwischenzeit lege ich allen, die das Projekt unterstützen wollen, ans Herz, diese Internet-Petition für den Erhalt der Gärten zu unterzeichnen. Über 7000 Stimmen sind bereits zusammengekommen.

3 Kommentare
  1. Das ist so ein tolles Projekt, schade, dass es vor dem Aus steht ( http://www.berlinportal.org/kreuzberger-prinzessinnengarten-droht-das-aus/159 ). Hoffentlich hat die Petition Erfolg, und der Prinzessinnengarten kann weiterleben, es ist schließlich schon fast so etwas wie ein Leuchtturm-Projekt fürs Urban Gardening…

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