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Es war einmal: meine Reise ins (kulinarische) Märchenland

Im Regal stehen sie millionenfach. Unzählige Male wurden sie verfilmt, vertont und auf die Bühne gebracht. Die Kinder in Japan kennen sie genau so gut wie die Kinder in Deutschland: die Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Vor rund 200 Jahren,  im Dezember 1812, erschien die erste Ausgabe der wohl berühmtesten Märchensammlung der Welt. Fleißig hatte ich meiner achtjährigen Tochter daraus vorgelesen und dabei waren wir beide wir neugierig geworden, wie und wo die Märchen zusammengetragen worden waren. Also machten wir uns  auf auf in die Welt von Jakob und Willhelm Grimm. Es wurde eine Reise, auf der wir beide viel gelernt haben. Nicht nur über die Entstehung der Märchen, sondern auch über das Leben der ungleichen Brüder, die Kochleidenschaft von Dorothea Grimm, der Ehefrau Wilhelms, und über Kassel und Nordhessen, wo die Grimms lange Zeit lebten und arbeiteten .

Das Hotel

Natürlich wollten wir dem Motto entsprechend standesgemäß schlafen und hatten uns im „Dornröschenschloss“  Sababurg einquartiert, in einem sehr geschmackvoll renovierten Turmzimmer mit dem wohlklingenden Namen Einhorn. Das Hotel liegt an der deutschen Märchenstraße, in der Nähe von Hofgeismar auf einer Anhöhe. Erbaut wurde es im 15. Jahrhundert  als Jagdschloss der Landgrafen von Hessen. Vor 100 Jahren wurde die verfallene Ruine im Volksmund zum „Märchenschloss der Gebrüder Grimm.“

Ende der 50er Jahre weckte die Familie Koseck in Zusammenarbeit mit dem Land Hessen die verträumte Ruine aus dem  Schaf. Seither zieht das „Dornröschenschloss“ Touristen aus aller Welt an. Ob es wirklich das Vorbild für das berühmte Märchen war, ist nicht belegt, aber eigentlich auch unwichtig, wenn es um Märchen und Phantasie geht. Wir fühlten uns jedenfalls wie echte Prinzessinnen. Kein Fernseher, kein Internet im Zimmer – dafür eine wunderbares Himmelbett, in dessen Baldachin nachts der Sternenhimmel blinkte.

steinbauer-groetsch©2013

Das kleine, aber feine Restaurant mit offenem Kamin und schön gedeckten Tischen bietet viele Speisen aus der Region an. Zum Beispiel Forellen aus den Teichen im Reinhardswald, Wildgerichte oder Ahle Wurscht. Das ist eine Art grobe Rohwurst, die ausschließlich aus Fleisch von Schweinen aus der Region Nordhessen  besteht und die  2004 in die Slow Food  „Arche des Geschmacks“ aufgenommen wurde. Lecker war die „Wurscht“. Leider war ich zu sehr mit dem Essen derselben beschäftigt und habe vergessen, ein Foto zu machen.

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Auch im Restaurant wird auch Dornröschen vermarktet, aber mit Stil: es gibt Rosennudeln, ein Grimm-Gedeck und einen Feentrunk. Überhaupt fand ich die Art, wie das Märchenthema präsent ist, recht wohltuend. Kein Kitsch, sondern eine durchdachte Gesamtgestaltung. Dazu trugen auch die  stilisierten Märchenfiguren an den Wänden, auf der Bettwäsche oder der Speisekarte bei. Alfons Holtgreve hat sie entworfen, der durch seine Arbeiten für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung bekannt wurde.

Der Tierpark und der Urwald

Gleich am Fuß des Schlosses liegt der Tierpark Sababurg, der 1571 vom damaligen Landgrafen Wilhelm IV gegründet wurde, und der eine der ältesten Zoos Europas ist. 80 Arten leben in dem weitläufigen Areal. Wir stapften durch die menschenleeren, verschneiten Parkwege und viele der Tiere wirkten fast, als hätten sie auf uns gewartet, um sich in Pose werfen zu können.

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Vom Tierpark aus sind es nur 3 Kilometer bis hin zum Reinhardswald. Wieder waren wir die einzigen Besucher, im Februar reist hier wohl kaum einer hin.

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Um das 200 qkm große Aral bei Hofgeismar rankt sich natürlich auch eine Legende. Angeblich verlor Graf Reinhard seine gesamten Ländereien beim Würfelspiel an dem Bischof von Paderborn.  Scheinbar aus Trauer bat er den Gewinner vor der Übergabe um die Gunst, noch eine Saat ausbringen zu dürfen. Aber anstatt Getreide säte er Eicheln und Bucheckern aus, weil er dem Bischof die fruchtbaren Ländereien nicht gönnte. Aus dieser Hinterlist entstand laut Sage der Reinhardswald . Lange war er ein Nutzwald, heute steht er unter Naturschutz. Riesige, Jahrhunderte alte Eichen, Buchen und Kastanien recken ihre bizarren Äste in den Himmel.

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Auch im Winter, ohne Laub, konnten wir bei unserer Wanderung die Macht und Kraft dieses Urwaldes spüren.  Hexenhäuser, Räuber und Halunken – hinter jeder Wegbiegung hätten sie auftauchen können und wir wären nicht verwundert gewesen.  Ein sehr spezielles Stück Natur, vor allem für uns, die wir aus der dicht besiedelten Randstad kamen. Fast ein wenig unheimlich, aber gleichzeitig auch von mystischer Größe. Ich hatte schon fast vergessen, dass es so etwas gibt.

Der Rapunzelturm

Etwa 12 Kilometer nordwestlich von der der Sababurg liegt eine weitere Märchenlokation, die Trendelburg. Sie steht auf einem Sandsteinfelsen über dem Diemeltal. Hier hat man sich der Grimmschen Märchengestalt Rapunzel verschrieben. Und tatsächlich scheint der dominante Turm direkt aus dem gleichnamigen Märchen entsprungen zu sein.

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Rund und mächtig überragt er die restlichen Gebäude der Burg, die ebenfalls ein Hotel und ein Restaurant beherbergt. Natürlich erklommen wir die 130 Stufen und wurden mit einem herrlichen Ausblick auf das Weserbergland belohnt.

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Übrigens war Rapunzel in der ersten Fassung des Märchens kein Kind von Traurigkeit. Sie kam nicht nur der Aufforderung des jungen Königssohns „Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter“ nach, sondern vergnügte sich offensichtlich auch mit ihm  und wurde schwanger.

Diese Variante der Geschichte fiel in den der Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen von 1857 dem Grimmschen Erbauungsgedanken zum Ofer, obwohl sie auch hier schließlich Zwillinge gebiert . Wie schon beim Froschköning wurden in den späteren Ausgaben erotische Anspielungen gestrichen, denn die Märchensammlung richtet sich auch an ein junges Publikum. Wilhelm Grimm entsprach damit der Prüderie der Biedermeierzeit. (siehe Heinz Rölleke: Kein Kuss vom Prinzen, in: ZeitGeschichte: Die Gebrüder Grimm)

steinbauer-groetsch©2013

Kassel und die Grimms

Natürlich  besuchten wir auch Kassel, die langjährige Wirkungsstätte der Gebrüder Grimm. Das Museum, in dem nicht nur die Märchensammlung, sondern auch die sprachwissenschaftliche und politische Arbeit der beiden Brüder dokumentiert ist, fand ich leider etwas antiquiert in der Präsentation. Viele Bücher, wenig Haptisches.Toll war es aber schon, die Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen zu sehen, die noch ganz ohne Illustrationen auskam.

Die schönste Entdeckung aber machte ich mit einem Buch, das sich nicht mit Jakob und Wilhelm Grimm beschäftigt, sondern mit Dorothee Grimm, der Ehefrau von Wilhelm. Sie sammelte Rezepte, die wie Dornröschen, lange in Archiv schlummerten, bis sie 2011 Willi Stubenvoll erweckte und der Öffentlichkeit zugänglich machte. Grimm‘sche Kochereien heißt der kleine Band, herausgegeben von Günther Koseck und Pierre Schlosser. Das Buch beinhaltet nicht nur die drei Rezeptbücher, die Frau Grimm im Laufe der Jahre anlegte,  sondern ordnet diese auch kulturgeschichtlich ein und wartet mit vielen interessanten Information zum Alltagsleben der Zeit auf. Fasziniert schmökerte ich abends im Himmelbett unter den glitzernden Sternlein im kulinarischen Leben der Grimms. Von Resteküche wie zum Beispiel Schwarzbrotpuddig, über unzählige Kuchen und Cremes bis hin zu Marmeladen und Eingemachtem kam viel Süßes auf den Tisch. Die Grimms schienen Naschkatzen gewesen zu sein. Aus den über 400 Rezepten habe mir eines ausgesucht, das ich demnächst nachkochen und  werde. Ich bin gespannt, wie es ausfallen wird, denn mit Mengenangaben und  Kochzeiten geht Dorothee recht sparsam um. Da wird beim Kochen etwas Phantasie gefragt sein. Die ist nach dieser tollen Reise ins (kulinarische) Märchenland aber bestens stimuliert.

Deshalb meine Empfehlung an alle: mal wieder Grimms Märchen lesen!

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