Rezepte Blog – Ein Topf Heimat

Ein Karpfen ist ein Fisch zum Essen…

…dachte ich bis vor einigen Tagen und dass ich alles über den Speisefisch aus meiner alten Heimat wissen würde. Denn als gebürtige Fränkin bin ich mit den gründelnden Fischen aufgewachsen: 

Kulinarische Sozialisation

Karpfen gebacken oder blau gehörte genauso zu meiner kulinarischen Sozialisation wie Nürnberger Bratwürste und Laugenbrezeln. Schon als Kind hatte ich gelernt, dass man die Karpfen nur in den Monaten mit R aß, dass sie vor dem Verzehr auswässern mussten, damit sie nicht schlammig schmeckten, und  dass sich hinter den Backenknochen des breiten Fischkopfes das beste Stück versteckte, das „Bäggle“.

Karpfen mit Geheimnis

Was ich bis vor ein paar Tagen nicht wusste ist, dass der Karpfen ein Geheimnis birgt. Es war, wie konnte es auch anders sein, bei einem Karpfenessen im Fränkischen mit unserem  langjährigen Freund Manfred Lautenschager,  Mediävist und wandelndes Universallexikon. Während sich seine Freundin Beatrice über die letzen Reste ihrer Karpfenhälfte beugte, erwähnte er beiläufig, dass sich im Inneren des Fisches etwas verberge, das mit großer Wertschätzung, sogar Heilkräften belegt sei: ein lapis carponum oder Karpfenstein. Ob wir das nicht wüssten als alte Franken.

Karpfenstein – Zwischen Kopf und Rückradwirbel

Und während ich mich noch wunderte, dass ich von diesem Stein noch nie etwas gehört hatte, geschweige denn einen in den unzähligen Karpfen meines Lebens gesucht oder zufällig gefunden hatte, klärte er uns auf, wo dieser zu finden sei: nämlich zwischen Kopf und erstem Rückratwirbel. Kaum hatte er seine Erklärung beendet, beförderte Beatrice ein prächtiges Exemplar aus dem Fischskelett auf ihrem Teller.

steinbauer-groetsch©2013

Und weil Manfred nicht Manfred wäre, wenn er nicht noch einige Erklärungen mitliefern würde, erzählte er sogleich, dass der Karpfenstein, der in Wahrheit kein Stein sondern ein Knorpel sei, in der Generation seines Großvaters  als Glückbringer galt, den man im Geldbeutel trug, damit einem selbiges nicht ausging.  Darüber hinaus sei lapis carponum im Spätmittelalter pulverisiert und mit anderen Ingredienzien zu künstlichen Perlen  verarbeitet worden, aus denen man Paternosterketten, also Rosenkränze, reihte. Das Rezept dazu finde sich unter Nummer 127 in der kunsttechnologischen Sammelhandschrift Liber illuministarum aus dem Kloster Tegernsee. (Von ihm übersetzt übrigens). Auch Heilkräfte seien dem Karpfenstein zugeschrieben worden wie man aus alten Medizin-Handbüchern entnehmen könne: unter anderem gegen Koliken und andre Krankheiten habe man ihn um den Hals getragen.

Glücksbringer im Geldbeutel

Capeau Manfred! Du hast es wieder mal geschafft, aus einem gewöhnlichen Essen eine Lehrstunde über die Wunderdinge dieser Welt zu machen. Nie mehr werde ich einen Karpfen einfach nur mehr essen können, ohne an die Heilwirkungen und Zauberkräfte des lapis carponum zu denken. Und im nächsten Exemplar, das auf meinem Teller liegen wird, werde  ich garantiert danach suchen. Ob ich den Stein dann in den Geldbeutel lege oder um den Hals trage, bezweifle ich. Ich denke, ich werde ihn auf meinem Schreibtisch plazieren, als Erinnerung an  diesen lehrreichen Abend und daran, dass Essen so viel mehr ist als bloße Nahrungsaufnahme.

 

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