„Es ist typisch niederländisch-indisch, immer Essen im Haus zu haben und immer über das Essen zu sprechen.“
Ostasiatische Wurzeln
Dieses Zitat stammt aus der Ausstellung „De indische keuken“, die anlässlich des diesjährigen Tong Tong Festivals in Den Haag zu sehen war. Jedes Jahr versammeln sich auf dem großen Mali-Feld vor dem Zentrum Den Haags tausende von Niederländern mit ostasiatischen Wurzeln. Es wird gesungen, getanzt, Theater gespielt und natürlich gegessen. Da war es naheliegend, im Rahmen des diesjährigen Festivals der Entwicklung der speziellen kulinarischen Kultur dieser Region in einer Ausstellung nachzuspüren.
Spannende Landesküche
Eigentlich dachte ich, ich wüsste über diese Landesküche Bescheid, denn ich bin eine treue Kundin unseres lokalen Wassenaarer Tokos, wie die niederländisch-indischen Imbissküchen heißen. Dort gibt es die klassischen Gerichte wie Nasi Goreng, Bami Goreng, Saté mit Ernusssoße oder Gado Gado zum Mitnehmen. Auch dass die indische Reistafel als die Königsdisziplin der niederländischen-indischen Küchentradition gilt, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.
Oberflächliches Wissen
Dennoch – als ich die Ausstellung „De indische keuken“ betrat, war mir sofort klar, dass sich mein Wissen über die kulinarische Geschichte dieser Küche eimlich oberflächlich war. Schon den Begriff hatte ich bislang offenbar falsch definiert, weil ich rein indonesische Gerichte damit verband. Falsch, ganz falsch. „Indische keuken“ und indonesische keuken“ werden zwar in der niederländischen Umgangssprache oft als Synonym verwendet, aber sie bezeichnen eigentlich ganz unterschiedliche kulinarische Traditionen. Die indonesische Küche umfasst tatsächlich nur die unterschiedlichen Regionen des Archipels. Die „Indische keuken“, die niederländisch-ostindische Küchentradition, geht dagegen weit darüber hinaus. Sie ist eine Mischung aus niederländischen Küchentraditionen und den lokalen Gerichten der ehemaligen niederländisch-ostindischen Kolonien.
Blick in die Geschichte
Alles begann mit dem Zusammenschluss verschiedener niederländischer Handelshäuser zu der „Vereenigden Oostindischen Compagnie“, kurz VOC, im Jahr 1602. Die VOC hatte Niederlassungen in Batavia, dem heutigen Jakarta, auf Java und Ceylon, in Persien, Bengalen, Formosa, Kapstadt und einer Insel vor Japan.
Über zwei Jahrhunderte kontrollierte die VOC die Gewürzroute von Indien nach Europa. In dieser Zeit taten unzählige Abgesandte aus Europa Dienst in diesen Niederlassungen. Da das Leben in Südost-Asien beschwerlich und gefährlich war, blieben Kinder und Frauen zurück. Für die Zeit ihrer Entsendung lebten die Männer in eheähnlichen Beziehungen mit Frauen asiatischer Herkunft, die den Haushalt versorgten und kochten. Aus Angst vor Meuterei und Sabotage war es in Batavia verboten, ein Verhältnis mit einheimischen Frauen einzugehen. Die sogenannten Njais kamen häufig von den Philippien oder aus Bali. Sie brachten ihre Kochtraditionen mit und sorgten so für die erste Phase der Mischung kulinarischer Traditionen. Auch die Versetzung der Angestellten der VOC von einer Niederlassung in die andere hatte zur Folge, dass Rezepte von einem Ort zum anderen reisten und an die jeweiligen lokalen Gegebenheiten angepasst wurden.
Fantasie gefragt
Nach dem Bankrott und der Liquidierung der VOC um 1800 regierten die Engländer einige Jahre in Ost-Indien und auf Java, und brachten ihre Kochtraditionen mit.
1824 übernahm der niederländische Staat die Verwaltung der Ostindischen Gebiete. Mit der Eröffnung des Suez-Kanals 1869 wurden die Reisewege kürzer, was dazu führte, dass mehr und mehr niederländische Frauen ihre Männer in die Kolonien begleiteten. So kam es zu der zweiten Fusions-Phase der „indischen keuken.“ Einheimische holländische Gerichte fanden ihren Weg nach Ostindien. Zutaten, die vor Ort nicht erhältlich waren, wurden durch ähnlich schmeckende lokale Produkte ersetzt, zum Beispiel Grünkohl durch Papaya-Blätter. Auch ganz neue Gerichte entstanden wie Pastei toetoep, ein Auflauf mit Kartoffelbrei, Hühnerfleisch und exotischem Gemüse, oder Ajam kodok, eine Art gefülltes Brathuhn.
Geschmack der Ferne
Die dritte Phase der Mischung in der niederländisch-ostindischen Küche vollzog sich in Europa. Denn nicht selten hatten die Rückkehrer aus den Kolonien Sehnsucht nach den kulinarischen Köstlichkeiten ihres Entsendungsortes. Da aber viele der exotischen Gewürze, Kräuter und Gemüsesorten in den Niederlanden nicht erhältlich waren, begannen die Heimkehrer, diese Zutaten mit niederländischen Produkten zu ersetzen. Satt der Würzsoße „ketjab“ gebrauchte man Maggi-Aroma und aus Trasi, einer Paste aus fermentierten Garnelen, wurden in Holland Suppenwürfel. In den 50er Jahren entstanden die ersten Restaurants in Den Haag und Amsterdam, die niederländisch-ostindische Gerichte servierten und jedem Holländer zugänglich machten. Auch die teilweise Flexibilisierung der sehr strengen niederländischen Essenszeiten ist eine Folge der kulinarischen Erfahrungen in den Kolonien. So entwickelte sich im Lauf der Jahrhunderte eine Küchen-Tradition, deren Wurzeln sowohl in Ost-Indien als auch in den Niederlanden liegen, die aber für sich eine ganz eigene, neue Qualität besitzt. Sie verwandelte einen Topf Heimat in eine Eintopfheimat und ist damit eine der ältesten Fusionsküchen, die entstand, lange bevor dieser Begriff in der kulinarischen Terminologie Mode wurde.
Kleines Begriffs-Lexikon
Im nächsten Blog-Eintrag werde ich eines der typischen Gerichte vorstellen. Für die, die sich schon einmal mit den vielen exotischen Zutaten und Gerichte vertraut machen wollen, folgt ein Glossar der wichtigsten Begriffe.