Die Eigenwillige mit Geschmack: Antwerpen

Unter den beliebtesten Reisezielen in Europa liegt Antwerpen nicht unbedingt an erster Stelle. Die Hafenstadt an der Schelde besitzt nicht die elegante Weltläufigkeit von Paris oder die Anziehungskraft von London. Sie kommt nicht so entspannt daher wie Kopenhagen und ist nicht so klischeebeladen wie Amsterdam. Mit der Bürokratenstadt Brüssel verbindet sie gar nichts und auch die pittoreske Schönheit der Nachbarstädte Gent und Brügge ist ihr fremd. Antwerpen ist eigen und eigenwillig.

Kathedrale des Reisens

Und gerade deswegen unbedingt eine Reise wert, das habe ich letztes Wochenende mal wieder festgestellt. Es ist ja praktisch ein Katzensprung von der holländischen Randstad zu der Stadt an der Schelde, in knapp eineinhalb Stunden ist man mit dem Auto da, mit der Bahn dauert es unwesentlich länger. Bei der Ankunft am Hauptbahnhof Antwerpen erlebt man schon die erste Überraschung. Das Gebäude aus dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts ist eine Mischung aus Industrieanlage und Kathedrale.

Central Station Antwerp

steinbauer-groetsch©2014

Eine Hommage an den technischen Fortschritt mit Gleisen auf vier Ebenen und zugleich Stein gewordenes Dokument für den Fortschrittsglauben des Industriezeitalters, in dem alles machbar schien und die maschinelle Fortbewegung mit der Eisenbahn ein neues Zeitalter des Reisens einläutete. Wirklich ein sehr besonderer Ort, an dem sich Zukunft und Vergangenheit quasi auf der Durchreise treffen.

Zwischen Tradition und Moderne

Auch die Stadt Antwerpen besitzt dieses ganze spezielle Spannung zwischen Tradition und Moderne, zwischen Abbruchstimmung, rauer Vitalität und historischer Größe. Manche Ecken funken wie die Diamanten, für die Antwerpen immer noch einer der Haupthandelplätze ist. Prächtige Bauten schmücken die Haupteinkaufsstraße Meir und das Theaterviertel.

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Herausgeputzt ist der große Markt und die Liebfrauenkirche mit ihren Rubens-Altären im historischen Zentrum. Spektakulär ragt das neue Museum MAS an der Schelde in den Himmel. Andere Stadtviertel dagegen wirken fast ein wenig schäbig, mit einem architektonischen Stilmix aus Beton und sanierungsbedürftigem Altbestand.

Kulturelle Vielfalt

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Die Stadt lebt von den Gegensätzen und der kulturellen und ethnischen Vielfalt. Dazu gehören die jungen Kreativen Designer in Antwerpen Zuid genauso wie die circa 20 000 jüdischen Einwohner der Stadt, die damit eine der größten jüdischen Gemeinden Europas besitzt. Lebensmittelläden, Bäckereien und koschere Restaurants zeugen von dieser Präsenz.

Um den Stadtnamen übrigens rankt sich eine leicht gruselige Sage, die Brabo-Legende, die im 15. Jahrhundert erfunden worden sein soll. Danach lag am Ufer der Schelde ein Riese, der den Schiffern auf dem Strom Wegzoll abpresste. Wollten oder konnten die nicht zahlen, so hackte ihnen der Riese eine Hand ab und warf sie in den Fluss. Der junge Römer Silvius Brabo besiegte den grausamen Riesen und vergalt ihm seine Untaten auf die gleiche Art. Auf dem großen Markt ist diese Legende zu Stein geworden, in den Läden kann man allerorts die süße Variante der Sage in Form von Shokoladen- oder Kekshänden erstehen und verspeisen.

Die  Spannung von Tradition und Erneuerung prägt auch die kulinarische Szene. Antwerpen besitzt zahllose Restaurants, vom Traditionsgasthaus über Luxus-Gourmet-Tempel bis zu spannender Kreativküche gibt es für jeden kulinarischen Geschmack etwas.

Restaurant Tipps

Zwei Restaurants kann ich nach diesem Kurztipp unbedingt empfehlen. Das Maritime steht für die traditionelle flämische Küche. Man serviert Fischgerichte, Muschen oder einheimische Austern in hoher Qualität und mit einem gewissen Stolz. Der ist berechtigt, denn meine Muscheln in Weißwein mit einer Meerrettich-Mayonnaise waren weich, frisch und zart.

Seafood

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Dazu gab es ein Schälchen belgischer Fritten. Die Räumlichkeiten des Familienunternehmens sind begrenzt, ohne viel Aufhebens wird man bei Platzmangel mit an einen Tisch gesetzt. Gestärkte Leinen-Tischwäsche und aufmerksame Ober bedienen das vorwiegend ältere Publikum mit routinierter Gelassenheit. Seit mehr als einem halben Jahrhundert existiert das Maritime am Suikerrui, laut Eigenaussage ist es „eine Liebesgeschichte zwischen Schelde und Antwerpen“.

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Am anderen Ende der Skala kocht  Seppe Nobels im Restaurant Graanmarkt 13 im Theaterviertel. Hier steht eine moderne kreative Küche mit tagesfrischen und saisonalen Zutaten im Mittelpunkt. Das Restaurant liegt im Untergeschoss eines großen Bürgerhauses. Schlicht, modern und farblich zurückhaltend ist die Einrichtung, offene Küche, man konzentriert sich aufs Wesentliche: das Essen. Die Speisekarte am Abend passt auf eine DINA5 Seite,  ist also recht überschaubar.

Es gibt kleine Vorgerichte, die man teilen kann, ein Abendmenü für 39 Euro und einige zusätzliche Speisen, mit denen sich das Menü erweitern lässt. Die drei Gänge, die uns serviert wurden, waren handwerklich auf dem Punkt und schmecken frisch und überraschend. Der Trend zu exotischen Grünzeug ist auch hier angekommen, zu den bei Niedrigtemperatur kurz gegarte Makrelenfilets gab es Blätter der essbaren Mittagsblume, auch Hexenfinger genannt.

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Der Glattbutt im Hauptgag lag perfekt gegart und perfekt gewürzt auf dem Teller – ein echter Leckerbissen.

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Das klassische französische Dessert Île flottante wurde mit karamellisierter Banane, Rum und Vanille-Eis aufgepeppt.

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Die Atmosphäre im Graanmarkt 13 ist freundlich entspannt, hier möchte man den kulinarischen Augenblick zelebrieren, ganz nach dem Motto auf dem Serviettenring „Tomorrow is so far away.“

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Genächtigt haben wir übrigens in einer kleinen B&B Pension, Le Patio, mitten im Zentrum, in einem historischen Haus. Auch die kann ich empfehlen.

(Dieser Post entstand ohne Sponsoring und gibt die unabhängige Meinung der Autorin wieder.)

 

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