Flandern: Mit der Kusttram ans Meer

Es gibt viele Arten, ans und am Meer zu reisen, aber keine ist so speziell wie die Küstenstraßenbahn, die Kusttram in Flandern zwischen Knokke und De Panne. Höchste Zeit also, dass ich diese einzigartige Art des Reisens  mit der „Lijn“, wie sie die Einheimischen nennen, persönlich erkundete. 

Von meinem Wohnort bis nach Flandern in Belgien ist es nicht weit, aber bislang hatte ich die Region jenseits der niederländischen Grenze gemieden. Die belgische Küste hat nicht den besten Ruf was die Architektur angeht, vielerorts  verstellen riesige Betonbettenburgen den Ausblick aufs Meer. Sie sind ein Überbleibsel aus den 70er Jahren, das mit großem Abstand auch in Flandern den Preis als Jahrzehnt der schlimmsten Bausünden einheimsen kann.

Ein entschiedenes „trotzdem unbedingt hinfahren“

Dieser Tatsache rufe ich aber sofort ein entschiedenes und lautes „trotzdem unbedingt hinfahren“ entgegen.

Flandern Tourismus

Denn es gibt so viel entlang der Lijn zu entdecken – Kultur, Kulinarik, Natur und Geschichte –  dass ich schnell gar keine Zeit mehr hatte, mich über seelenlose Ferienbunker zu ärgern, zumal es auch Orte wie De Haan gibt, die davon vollständig verschont sind.

Lijn De Haan

Flandern mit der Kusttram

Reisen mit der Kusttram – das war mein Ziel für 48 Stunden. Seit 1885 pendelt die Kusttram zwischen  den Orten Knokke im Osten an der Grenze zu den Niederlanden und  De Panne im Westen an der französischen Grenze. Mit 70 km Länge stellt sie einen Rekord auf: als längste durchgängige Straßenbahnlinie der Welt. Die Lijn fährt im 10-Minuten Takt und befördert nicht nur Touristen, sondern auch die Einwohner der Küstenregion. Mit der Tram fährt man zur Arbeit, zur Erholung, zum Essen, zum Einkaufen und ans Meer. 68 Haltestellen gibt es auf der gesamten Strecke und mit meinem Mehrtages-Ticket, das mir die freundliche Dame an der Hotel-Rezeption in De Haan besorgt hatte, stieg ich ein und aus, wo und wann ich wollte – so problemlos war ich schon lange nicht mehr mit einem öffentlichen Verkehrmittel unterwegs.

Ticket De Lijn

Belle Epoque und Exilanten

Die Basisstation meines Aufenthalts an der Küste von Flandern lag in De Haan, wo ich in dem sorgfältig restaurierten und mit allem Komfort ausgestatteten historischen Hotel Belle Vue übernachtete,  das nur einen Steinwurf von der Haltestelle der Lijn entfernt liegt.

De Haan Kusttram

Der kleine Ort mit seinen historischen Bauten atmet so viel Geschichte  und Atmosphäre aus, ich hätte mich nicht gewundert, wären mir plötzlich langgewandete feine Damen in weißen Spitzen-Sommerkleidern und leichten Sonnenschirmchen entgegen gekommen oder hätten korrekt gekleidete Herren mittleren Alters den Sommerhut vor mir gezogen.  Apropos Geschichte – der Erholungsort spielte eine entscheidende Rolle im Leben Albert Einsteins, der sich hier von Januar bis September 1933 vor den Nationalsozialisten retten konnte, bevor er das Dorf inkognito verlassen musste und sich über Großbritannien in die USA in Sicherheit brachte. Auch in Ostende fand ich noch Spuren der deutschen Emigration, die Volker Weidemann in seinem wunderbaren Buch Ostende. 1936, Sommer der Freundschaft einfühlsam, detailliert und mit mitreißendem erzählerischem  Schwung  skizziert.

Exilanten Ostende

In der Brasserie du Parc, direkt an einer der Haltestellen der Kusttram trafen sich Joseph Roth, Stefan Zweig, Egon Erwin Kisch, Irmgard Keun und viele andere heimatlos gewordene Intellektuelle und Künstler, um noch einmal das Leben zu feiern. (Dazu bald mehr in einem separaten Bericht)

Ortschaften mit Charakter

Ich schaffte es in den zwei Tagen an der flämischen Küste leider nicht, die komplette Strecke mit der Tram zurückzulegen, dennoch bekam ich auf  meinen Fahrten einen intensiven Eindruck von der unterschiedlichen Atmosphäre in den einzelnen Badeorten. Zeist-Knokke strahlt zurückhaltende Vornehmheit aus. Hier treffen sich die Reichen und Schönen, was ich direkt am Angebot von Upmarket-Restaurants, Boutiquen und Hotels ablesen konnte. Zeebrügge punktet mit einem quirligen bunten Hafentreiben, De Haan und Wenduine versetzten mich mit ihrer gut erhaltenen historischen Architektur in die Zeit der Belle Epoque und in Ostende spürte ich die raue Energie einer multikulturellen Hafenstadt.

Oostduinkerke Krabbenfischer Flandern

In Oostduinkerke schließlich traf ich die letzten Krabbenfischer zu Pferd, die ihr Handwerk im Sommer den Touristen zeigen, und im Herbst, wenn die Strände verlassen sind, ganz für und bei sich ins Meer reiten. (Der ausführliche Bericht folgt im nächsten Post)

In der Lijn

Es war Ferienzeit und die Tram gut besetzt, aber mit etwas Glück und Geduld ergatterte ich fast immer einen Fensterplatz. Wer gern Land und Leute beobachtet wie ich – der wird die Lijn lieben. Das Treiben an den Haltestellen, die Fahrt durch die Badeorte, die alle ihre eigene besondere Atmosphäre ausstrahlen, das ist schon etwas Besonderes.

In der Lijn

Ich lehnte mich zurück und lies Geschäfte, Restaurants  und Cafés an mir vorbei ziehen. Außerhalb der Touristenzentren wechselten sich herausgeputzte Vororte ab mit grünen Naturgebieten und knorrigem Dünenbewuchs. Dann plötzlich tat sich ein völlig freier Blick aufs Meer auf, das träge in der Nachmittagssonne glitzerte und mir zuzublinzeln schien: Komm, komm ins Wasser! Ich nahm die Einladung an, stieg an der nächsten Haltestelle einfach aus und nahm ein Bad in den kühlen Fluten.

Badeurlaub Flandern

Fritten, Miesmuscheln und kulinarische Sterne

Wer reist, der muss auch essen. Gelegenheit dazu gibt es überall und in allen Preisklassen. Von vlaamse frietjes bis zur Sterneküche reicht die Auswahl. Nicht weniger als sieben Sternerestaurants strahlen an der Küste Flanderns. Mit jeweils zwei Sternen glänzen ganz besonders das Le Fox in De Panne und das Bartholomeus in Knokke-Heist. Darüber hinaus notiert jeder Badeort mindestens ein Restaurant im GaultMillau.

Ich hielt mich auf der Reise eher an die Klassiker der Küche Flanderns, zum Beispiel die berühmten zweimal frittierten Pommes, die es in vielen Imbissen bis tief in die Nacht gibt. Mit einem ordentlichen Schuss Mayonnaise und frisch zubereitet ein unschlagbares Street Food, dessen Geheimnis ich in einem gesonderten Post verraten werde.

Pommes Frites Flandern

Natürlich habe ich auch Moules frites verspeist und dabei gelernt, dass die Miesmuscheln für dieses Standardgericht meist gar nicht in Belgien gezüchtet werden, sondern aus der Oosterschelde in der angrenzenden niederländischen Provinz Zeeland kommen.

Moules frites

Auch Nordseekrabben gelten als länderübergreifende kulinarische Köstlichkeit. Die aus Flandern schmecken etwas süßer als die holländischen, was wohl daran liegt, dass sie in Flandern nicht in Salzwasser, sondern in Leitungswasser gegart werden.

Meeres-Spezialitäten aus Flandern

Wie schon gesagt, die Küchen der holländischen und der flanderschen Küste überschneiden sich vielfach. Allerdings habe ich auf dem Quai in Ostende zwei Spezialitäten entdeckt, die ich so noch nicht kannte. An den Verkaufsständen dort baumelten kleine getrocknete Fische im salzigen Nordseewind.

Kusttram Ostende

Es waren Wijtinge, auf deutsch Wittlinge, gepökelte und getrocknete Meeresfische, welche die Flamen bevorzugt zu einer ihrer zahllosen Bierspezialitäten knabbern. Allerdings steht der Wijting in unserem niederländischen Fischwegweiser auf der Liste der Arten, die man nicht kaufen sollte. Ich habe ihn also hängen lassen.

Die zweite Spezialität, die in großen dampfenden Töpfen zum Verkauf stand, waren gekochte Wellhornschnecken, die in Flandern Wulken genannt werden. Ich kostete eine kleine Portion der Gemüse-Schneckensuppe, die es in einer milden und einer scharfen Variante gab.

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Wellhornschnecken

Die Brühe schmeckte mir gut, die Schnecken allerdings waren gummiartig und schwer zu kauen.  Na ja, geht so!

Waffelglück – auch für Süßmuffel

Ich bin eigentlich ein Dessert-Muffel, aber an den belgischen Waffeln konnte ich einfach nicht vorbei gehen. Es gibt sie in zwei Varianten: die Brüsseler Waffeln sind etwas leichter als die Verwandten aus Lüttich, deren Teig brioche-ähnlich und mit Hagelzucker versetzt ist.

Waffeln Belgien

Ich entschied mich für die Brüsseler Variante mit einer Kugel Eis. Heiß, außen knusperig und innen wunderbar luftig wurde die Waffel serviert. Perfekt, weil sie ganz nach meinem Geschmack nur einen Hauch von Süße abgab.

Im Zeichen des Meeres

Die zwei Tage an der Küste Flanderns gingen wie im Flug vorbei. Ich war überrascht, wie vielfältig diese Region ist, was Geschichte, Kultur und Kulinarik betrifft. Ausgangs- und Endpunkt aller meiner Reisen mit der Küstenstraßenbahn war das Meer.

Küste Flandern

Es bestimmte meinen Tagesrhythmus und meine Wege. Es spendete mir Nahrung und lud mich ein zum Verweilen. Es lag schläfrig in der Sommerhitze und zelebrierte dramatische Sonnenuntergänge.

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Und  – es erzählte mir viele spannende Geschichten über Flandern – ein  Flandern jenseits von Bausünden und Bettenburgen, das sich lohnt zu entdecken.

Die Reise nach Flandern wurde unterstützt vom Toursismusbüro visitflanders. Mehr Infos unter: visitflanders

Flandern und die Niederlande sind dieses Jahr die Ehrengäste der Frankfurter Buchmesse. Auf EINTOPFHEIMAT gibt es deswegen auch eine Sonderseite mit Reisetipps, Rezepten und Buchempfehlungen. Dazu bitte hier entlang.

 

 

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2 Kommentare
  1. Was für ein wunderbarer Zufall, der mich gerade eben auf diese Seite geführt hat. Der Grund im Internet nachzusehen ist unsere kleine Reise nach Belgien. Unbedingt möchten ich auch Ostende sehen und den Spuren von Stefan Zweig,Joseph Roth etc. folgen. Volker Weidermanns Ostende machte mich neugierig.
    Es freut mich auch ganz besonders
    diesen Blog gefunden zu haben, der meinen Interessen sehr entgegen kommt.

    • Liebe Anne, vielen herzlichen Dank für den positiven Kommentar und viele interessante Erlebnisse in Belgien! Auch die Ardennen sind sehr schon, in Den Han gibt es eine goßartige Tropfsteinhöhle.

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