„Kommen Sie schnell, wir ernten schon seit Wochen“, mailte mir Joop van Urk. Ich sagte nicht nein und stand zwei Tage, zwei Autostunden und eine Schnellbootfahrt später an einem grauen Morgen im Hafen der malerischen niederländischen Watteninsel Terschelling.
Reise auf die Cranberry-Insel
Joop wartete in seinem Landrover bereits auf mich. Obwohl wir uns nicht kannten, machte ich ihn sofort aus, denn an seinem Wagen klebte eine Zeichnung der Früchte, wegen der ich hier war: der berühmten Terschellinger Cranberries.
Ich bin ein ganz großer Fan dieser roten Früchte, die roh ungenießbar sind, aber nach dem Erhitzen ihr volles sauer-fruchtiges Aroma entfalten. Deshalb war ich neugierig, wie die ursprünglich aus Nordamerika stammende Beere, die in anderen Regionen der Welt als Exot gilt, auf einer niederländischen Watteninsel am anderen Ende der Welt heimisch werden konnte. Für die Beantwortung dieser und anderer Fragen gab es keinen besseren Gesprächspartner als Joop van Urk, dem Eigentümer des Unternehmens Cranberry Terschelling B.V.
Mister Bes
Joop öffnet mir schwungvoll die Autotür und begrüßt mich mit einem kräftigen Handdruck. „Mister Bes“, wie er auf der Insel genannt wird, ist Terschellinger in dritter Generation.
Auf der Fahrt zu den Feldern erzählt er, dass er mit den wilden roten Beeren anfangs gar nichts im Sinn hatte. Wie alle jungen Männer von Westteil der Insel schlug er die maritime Laufbahn ein und fuhr nach seiner Ausbildung 20 Jahre zur See. Erst über einige Umwege und Zufälle kam er nach seiner Rückkehr mit dem Cranberry-Anbau in Kontakt und übernahm 2001 die Firma von seinem. Auch seine beiden Töchter und sein Schwiegersohn arbeiten im Familienunternehmen.
Seemansgarn vom Feinsten
Wie kamen die Cranberries aus Nordamerika in die Nordsee? Auf der Insel erzählt man gern die folgende Geschichte: In einer Novembernacht 1845 tobte über der Nordsee ein kräftiger Nordwest-Sturm. Bestes Wetter für die berüchtigten Terschellinger Strandjutter, Insulaner, die die Küste nach angespülten Waren von Handelsschiffen absuchen. „Jutter“ Pieter Sipkes Cupido ist in dieser Nacht auch unterwegs. Er entdeckt am Strand ein großes Fass, das er zunächst aus Angst vor dem Zugriff des Bürgermeisters in den Dünen versteckt, denn Strandgut ist eigentlich Staatseigentum. Als er es am nächsten Tag heimlich öffnet, befindet sich darin zu Pieters Enttäuschung nicht etwa Hochprozentiges, sondern eine Ladung harter roter Beeren, die sich auch noch als ungenießbar erweisen. In seiner Wut kippt er das Fass in den Dünen aus.
Wo alles begann
Wir fahren in den Nordwesten der Insel, zu der Stelle, an der zwanzig Jahre nach jener stürmischen Nacht 1845 ein Biologiestudent namens Franciscus Holkema eine bemerkenswerte Entdeckung macht: er fand hier eine bis dato in Europa vollkommen unbekannte Pflanze, die sich bei näherer Bestimmung als die amerikanische Cranberry der Sorte Vaccinium Marco Carpon erwies. „Studentenplak“ nennen die Insulaner diese Stelle, die den Anfagng des Terschellinger Cranberry-Anbaus markiert. Ende der 20er Jahre entstand hier ein Sammelpunkt nach amerikanischem Vorbild. Die sogenannte „Bessenschuur“ ist heute sorgfältig renoviert und beherbergt ein Café und einen kleinen Laden, in dem es alles gibt, was man aus Cranberries herstellen kann: Wein, Schnaps, Kekse, Kompott, Saft und vieles mehr. Unter Joops Regie entstand im Obergeschoss des Gebäudes ein kleines Museum, das Auskunft gibt über die Geschichte des Cranberry-Anbaus auf der Insel.
Legende und Wahrheit
Ob denn die Legende des Strandjutters und seinem ungewöhnlichen Fund stimme, will ich wissen. Mein Gastgeber antwortet mit schelmischem Lächeln: als Kind hörte er die Geschichte von seiner Mutter und da Mütter bekanntlich nicht lügen, sei sie wohl wahr. Dann kommt er aber noch mit einer ernsthaften Erklärung, die durchaus logisch erscheint und die Legende historisch untermauert. Skandinavische Einwanderer lernten in New Jersey die heilende Wirkung der Beeren durch die indianischen Ureinwohner kennen. Diese benutzen Cranberries zur Wundheilung, zum Färben und gegen Blasenentzündung. Überzeugt von der Kraft der Beeren, exportierten die Siedler die Beeren in die alte Heimat. Und da die Handelsroute nach Skandinavien an den Watteninseln vorbeiführte, so Joop, sei es durchaus wahrscheinlich, dass eine verlorene Ladung Beeren an den Strand gespült wurde. Und noch einen Beweis hat er parat. Er selbst habe Beeren in den Dünen ausgestreut, die ohne große Mühe Wurzeln schlugen. Um die große Wachsleistung der kleinen Pflanze zu demonstrieren, zeigt er mir eine Stelle, die gerade neu besiedelt wird. Und tatsächlich: überall schlängeln sich feine Triebe über den so unwirtlich scheinenden Boden. Das kalkarme, saure Milieu und ein wechselnder Grundwasserspiegel bieten der Pflanze in bestimmten Gebieten der Insel den idealen Nährgrund.
Sensible Früchte
Was hier noch wachsen muss, ist an anderen Stellen schon ausgereift und voll mit Beeren. Die zirka 80 ha Felder, die der Betrieb vom Staatsbosbeheer pachtet, liegen parallel zur Küste hinter dem ersten Dünengürtel. Dieses Jahr tragen die Pflanzen besonders viele Früchte – Resultat eins eines feuchten Frühjahrs und eines sonnigen Sommers.
Die Ernte ist Schwerarbeit, denn bis auf einen Metallkorb, an dem am vorderen Ende Zähne angebracht sind, gibt es keine technischen Hilfsmittel.
Dennoch ist die Tätigkeit begehrt, eine feste Crew von zirka 25 Pflückern ist jedes Jahr in den Feldern unterwegs.
Wind, Wasser und Sand
Die Beeren werden nach der Ernte in großen Säcken in die Sammelstelle der Firma nach West-Terschelling gebracht, wo sie gereinigt und sortiert werden. Die Fähre bringt die kostbare Fracht dann nach Harlingen aufs Festland. Ein kleiner Teil frischer Beeren geht in den Verkauf, der Rest wird bis zur Weiterverarbeitung bei -22 °C eingefroren. Die Cranberries von Terschelling besitzen das EKO-Zertifikat, denn sie kommen nicht nichts anderem in Kontakt als Wind, Wasser und Sand.
Joop van Urk hat 2007 eine eigene Saft- und Kompottproduktion in Harlingen gebaut, die nach modernsten Standards produziert. Nicht alle Produkte kommen aus der heimischen Ernte, doch wo Terschelling drauf steht, ist auch Terschelling drin. Verkaufsschlager sind ungesüßter und gesüßter Saft sowie Kompott. Erwerben kann man die Produkte unter anderem in der hauseigenen Verkaufsstelle auf Terschelling und in den Niederlanden und Belgien in ausgewählten Läden.
Lieblingsrezept
Ich hatte beim meinem Besuch ein Auge auf die frischen Beeren geworfen, von denen ich eine Packung kaufte und mit nach Hause nahm. Joop hatte mir nämlich zum Abschied noch sein Lieblingsrezept verraten: Terschellinger Siepeltjespot – ein rustikales Ofengericht mit Hackfleisch, Speck, Kartoffelbrei, Sauerkraut und natürlich Cranberries.
Mein „rotes Gold“, erste Qualität übrigens, wanderte am nächsten Tag direkt in den Kochtopf, wo es sich in ein wunderbares Kompott verwandte. Mit dem bereitete ich anschließend den Terschellinger Eintopf zu. Das Rezept gibt’s im nächsten Post, aber so viel sei hier schon verraten: die Kombination aus deftigen Speck und würzigem Hackfleisch harmoniert mit der Säuere des Krauts und der Beeren vortrefflich und wird vom weichen Geschmack des Kartoffelpürees perfekt abgerundet. Toll!
Ein ganz toller Bericht, danke hat mir sehr gefallen. Viele Jahre habe ich immer die Übersee importieren Cranberries gekauft.
Letzte Jahr dann diese ich finde die brauchen gar nicht so viel Zucker und sind nicht so sauer. Eine gute Idee nicht süß sondern in einem deftigen Eintopf, kann’s kaum erwarten das Rezept hier zu finden.Liebe Grüße Ingrid
Danke für das Lob. Es stimmt, die Beeren sind sehr vollmundig und auch mit weniger Zucker schmecken sie exzellent. Das Rezept für den Siepeltjespot kommt noch vor dem Wochenende, versprochen.