„Das darfst du auf keinen Fall versäumen, wenn du in Calgary bist“, schärfte mir meine kanadische Freundin Tracy ein. Sie meinte eines der traditionellen kanadischen Pfannkuchen-Frühstücke, die während der Stampede jedes Jahr an verschiedenen Plätzen in der weitläufigen Stadt organisiert werden. Laut Tracy sind diese Events Kanada pur. Nicht nur, weil sie nichts kosten, sondern auch wegen des Gemeinschafts-Erlebnises.
Urvater Jack Morton
Der Urvater dieses jährlichen Events war ein großzügiger Planwagen-Kutscher namens Jack Morton. Er lud bereits 1923 Passanten ein, das Frühstück mit ihm zu teilen. Ohne es zu ahnen, startete er damit eine Tradition, die sich aus bescheidenen Anfängen zu einem jährlichn Großereignis entwickelt hat. Heute bewirten Kirchen, Vereine, Firmen, Politiker und die Stampede selbst jedes Jahr Hunderttausende von hungrigen Frühstücksgästen mit Pfannkuchen, Würstchen und Kaffee.
Wo gibts Pfannkuchen?
Tracy wies mich noch daraf hin, dass im Internet alle Orte zu finden sind, an denen im Lauf der Stampede-Woche ein Pancake Breakfast stattfindet. Prima, dachte ich, dann kann ich vor Ort spontan entscheiden, wohin wir uns begeben. Die Realität sah leider anders aus. Als wir nach Tagen in der kanadischen Wildnis auf dem Campingplatz bei Calgary eintrudelten, gab es zwar wieder Internet, aber ich hatte keinen Zugang dazu. Denn unsere Tochter beschlagnahmte sofort den Rechner, um sich auf den neuesten Stand der der Dinge bei der Frauenfussball WM zu bringen und nach Shoppingmöglichkeiten zu suchen. Als der Computer frei wurde, war ich zu müde, um nach einem passenden Ort zu suchen. Zähneknirschend hakte ich den Event ab, den mir Tracy so ans Herz gelegt hatte. Mit dem Besuch der Stampede und Shopping hatten wir schon genug Program für die 48 Stunden, die wir in Calgary verbringen wollten. Aber es kam doch ganz anders.
auf der Rolltreppe!
Als wir am Morgen unseres Einkaufstages in aller Frühe beim Chinook Shopping Centre eintrudelten, den unser einkaufswütiger Teenie ausgesucht hatte, weil es dort sämtliche In-Klamotten gab (hatte sie im Internet recherchiert!), waren praktisch alle Plätze belget. In den Läden des Einkaufszentrums dagegen herrschte gähnende Leere. Dann sah ich auf der Rolltreppe eine Frau in Jeans, Cowboystiefeln, Karo-Hemd und – mit einem Teller Pfannkuchen.
Ein paar Fragen später hatten wir den richtigen Ausgang gefunden und standen zwischen Tausenden von Menschen, ebenfalls in Jeans, Cowboystiefeln und Karo-Hemden. Ohne es zu ahnen, waren wir dank unserer Tochter mitten im größten Pfannkuchen-Frühstück der ganzen Stadt gelandet. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich das Prinzip verstanden hatte, nach dem man sich hier bewegen musste.
Anstehen mit System
Man stellte sich an einer der Schlangen hinten an, erhielt von einem freundlichen Menschen einen Papp-Teller und schob sich dann Zentimeter für Zentimeter zu einer der Pfannkuchen-Backstationen vor. Im Gegensatz zu unseren deutschen großen flachen Pfannkuchen sind die kanadischen und amerikanischen Exemplare kleiner, aber luftiger und dicker, denn sie werden mit den Treibmitteln Backpulver und Speise-Soda (Sodium Bikarbonat) hergestellt.
„Go with the flow“ dachte ich, reihte mich ein und näherte mich Schritt für Schritt einer der vielen heißen Platten, an denen tapfere Helfer unermüdlich werkelten. Jeder Handgriff saß: Platte einfetten, Teig verteilen, Pfannkuchen wenden und ab auf den Teller. Next please!
Die Menschen warteten geduldig auf ihre Portion, vertrieben sich die Zeit mit Witzen, Geschichten oder schäkerten mit den Bäckern. Irgendwo dudelte Country-Musik aus einem Lautsprecher. So entspannt hatte ich schon lange nicht mehr Schlange gestanden.
Schließlich war auch ich stolze Besitzerin von zwei Pfannkuchen, mit Sahne garniert und einem Würstchen als Beilage verfeinert. Dazu noch ein Döschen Butter, etwas Sirup und einen Becher Kaffee. Das perfekte kanadische Western-Frühstück!
Und es schmeckte auch noch gut. Obwohl der Teig aus einem Lastwagen kam, der Kaffee aus dem Kanister, und der Sirup mehr nach Zucker als nach Ahorn aussah.
Happening mit Gemeinschaftsgeist
Im Nachhinein erfuhr ich, dass an diesem Samstag mehr als 60 000 Menschen gekommen waren. Pro Person 2 Pfannkuchen – das macht 120 000 Stück. Gebacken und serviert von über 400 Freiwilligen in nur ein paar Stunden. Ich glaube, es gibt keinen anderen Ort auf der Welt, an dem man diese spezielle Mischung aus Gemeinschaftsgeist, Happening und Western-Romantik findet. My compliments Calgary!
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